Arte – «Das Attentat»

Ins Chaos geschossen

«Das Attentat» zeigt ein zerrissenes Serbien in der Nachkriegszeit zwischen Macht, Gewalt und Wahrheitskrise.

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Danica Mandić (Milica Gojković) ist eine junge Journalistin mit unbequemer Neugier.

Danica Mandić (Milica Gojković) ist eine junge Journalistin mit unbequemer Neugier.

© This and That Productions

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Die Wunden sind bis heute nicht vernarbt. Es war ein Wendepunkt in der serbischen Nachkriegsgeschichte: die Ermordung von Zoran Đinđić (das darf man hier getrost schon verraten), der von 2001 bis zu seinem Tod 2003 Ministerpräsident seines Landes war. Doch statt einer trockenen Geschichtsstunde oder pathetischen Heldenverehrung serviert uns «Das Attentat» ein schonungslos realistisches Mosaik aus Macht und Angst in einem zerrissenen Staat.

Aber schön der Reihe nach. Während es mittlerweile üblich ist, bei Serien mitten im Geschehen einzusteigen und den Plot allmählich aufzurollen, fasst «Das Attentat» zu Beginn die Ereignisse kurz zusammen, ehe Folge 1 beginnt.

Wir schreiben das Jahr 2003. Seit mehreren Monaten steht der ehemalige Machthaber Slobodan Milošević (1941–2006) wegen Völkermord vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Doch am 12. März stürzt das Land erneut ins Chaos: In Belgrad wird der serbische Ministerpräsident Zoran Đinđic (Dragan Mićanović), der für die Demokratie eintrat, auf offener Strasse erschossen. Nach dem feigen Attentat ruft die Regierung den Ausnahmezustand aus und leitet eine beispiellose Fahndungsaktion nach den Hintermännern ein.

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Die Politserie konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Personen: Danica Mandić (Milica Gojković), eine junge, alleinerziehende Journalistin mit unbequemer Neugier. Sie recherchiert der Aufklärung des Mordes hinterher. Ihre Reise durch Polizeipräsidien, Geheimdienstarchive und die Wohnzimmer der Mächtigen steht sinnbildlich für den Kampf einer Generation, die Antworten in einem Land sucht, das lieber vergessen als sich erinnern will. Parallel dazu begleiten wir den Kommissar Boris Rakić (Ljubomir Bandović) bei seinen Ermittlungen. Er trägt das Erbe der osteuropäischen Polizeitradition in sich: Seine marode Moral kollidiert mit seiner tiefen Menschlichkeit.

Und dann ist da noch der junge Uroš (Lazar Tasić) aus Belgrad, den es immer tiefer in die Fänge eines kriminellen Clans zieht, der hinter der Ermordung des Ministerpräsidenten steckt.

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In einer Zeit, in der politische Serien ins Boulevardeske abrutschen oder in moralisierenden Grautönen verschwimmen, sticht «Das Attentat» als kompromissloser und politisch aufgeladener Thriller hervor. Er trifft mit einer Mischung aus Realität, Fiktion und dramaturgischer Präzision mitten ins Herz eines Landes, das sich von einer harten Diktatur zu erholen versucht. Eine Hochglanzinszenierung mit vielen Gewaltakten und einem spektakulären Showdown darf man allerdings nicht erwarten. Eher eine mit verrauchten Büros im kalten Neonlicht und verrauschten Bildern. Die Kameraführung und der Schnitt wirken oft dokumentarisch, was dem Ganzen eine beklemmende Authentizität verleiht. Als würde man sich durch echte Polizeiakten wühlen.

Das Anliegen der Macher ist jederzeit spürbar: tatsächliche Ereignisse zu erzählen, die auf gesicherten Informationen und Zeugenaussagen basieren, ohne dabei die kreative Freiheit der Autoren bei Dialogen, Handlungen und Figuren zu beschneiden.

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Was besonders auffällt, ist der dramaturgische Spagat zwischen historischen Fakten und Fiktion. «Das Attentat» nutzt das Geschehen nicht als Alibi für Spannung, sondern um grundlegende Fragen aufzuwerfen: Was bedeutet Gerechtigkeit in einem korrupten System? Was ist Wahrheit, wenn alle lügen? Und wer darf erzählen, wenn niemand mehr zuhört?

Gewissermassen als Kontrapunkt dazu ist am Ende noch eine passionierte Rede des ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Đinđic zu hören.

Arte sendet den Achtteiler als Event mit je vier Folgen an den nächsten beiden Donnerstagen.

Das Attentat

Arte | Politserie

Mit Dragan Mićanović, Milica Gojković, Ljubomir Bandović

Donnerstag, 24. Juli, 21:40 Uhr (1–4/8)
Donnerstag, 31. Juli, 21:40 Uhr (5–8/8)

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Der Trailer (O-Ton mit englischen Untertiteln)

Über die Autoren
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Mischa Christen

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