3sat – «Alter Ego»

Fasnacht & Finsternis

Ein Serienkiller geht um im Tessin: Die Krimiserie «Alter Ego» entpuppt sich als dreidimensionales Puzzle.

TELE

Wortkarger Commissario mit sonorer Stimme: Commissario Blum (Gianmarco Tognazzi).

Wortkarger Cop mit sonorer Stimme: Commissario Blum (Gianmarco Tognazzi).

SRF

Werbung

Die Stadt Bellinzona ist bekannt für ihre mittelalterlichen Burgen, ihre engen Gassen und die flammende Fasnacht. Der Carnevale Rabadan ist denn auch Schauplatz der Krimiserie «Alter Ego».

Los geht es mit einem grausigen Fund: Die Leiche einer jungen Frau liegt am Tag nach dem Schmutzigen Donnerstag zwischen kunterbunt verstreuten Fasnachtskonfetti – makaber drapiert wie ein Engel. Die Stadt wird in einen Albtraum zurückgeworfen, von dem alle dachten, sie hätten ihn hinter sich gelassen. Elf Jahre zuvor, auch an der Fasnacht, haben Mordfälle nach sehr ähnlichem Schema das gegenseitige Vertrauen der Stadtbewohner zutiefst zerrüttet. Treibt der Mörder von damals erneut sein Unwesen?

Auf jeden Fall geht er oder sie skrupellos und offensichtlich nach einem klaren Plan vor. Davon ist auch Commissario Leonardo Blum (Gianmarco Tognazzi) überzeugt. Blum ist kein Mann grosser Worte, vielmehr ein Getriebener, dem die so lange zurückliegenden Morde noch zünftig in den Knochen stecken.

Schon die ersten Szenen offenbaren: Hier ist nichts bloss Kulisse. Die alten Mauern, die engen Gassen und die Burgen erzählen ebenso ihre Geschichte wie die Menschen, die hindurchirren. Die Regisseure Erik Bernasconi und Robert Ralston Jr. verpassen dem Schauplatz einen Anstrich von Nordic Noir. Mit kaltem Licht, langsamen Kamerafahrten und wortkargen Ermittlern. Wer skandinavische Krimis mag, wird hier das Flair wiedererkennen und schätzen – nur eben mit südlichem Timbre und Tessiner Dialekt.

Anna Pieri Zuercher, bekannt aus dem Zürcher «Tatort», spielt die brillante Gerichtsmedizinerin Camille Aubry, die für die neusten Mordfälle von Blum angefordert wird. Ihre Performance ist ruhig, aber präsent und hochkonzentriert. Die Atmosphäre zwischen Aubry und Blum bleibt angenehm unterkühlt – kein unnötiges Drama, nur angedeutete Nähe, wie alles in dieser Serie. Nichts wirkt plakativ.

Werbung

Die sechs Episoden nehmen sich Zeit – ab und zu vielleicht etwas zu viel. Nebenhandlungen verlieren sich stellenweise in Andeutungen, deren Auflösung man sich manchmal selber zusammenreimen muss. Doch genau hier liegt auch der Reiz: «Alter Ego» verlangt Aufmerksamkeit und entpuppt sich als dreidimensionales Puzzle, das sich sukzessive zusammensetzt. Stück für Stück. Schicht um Schicht.

Technisch besticht die Serie durch ein sorgfältig ausgewähltes, düsteres Sounddesign. Die Musik wird sparsam, aber stets treffend eingesetzt. Und wer gut aufpasst bzw. genau hinhört, stellt fest, wie Bellinzona selbst zum Klangkörper wird: Schritte hallen auf Pflastersteinen, Kirchenglocken zerschneiden die Stille, und ein Windhauch in einer Gasse wirkt bedrohlicher als jeder Schuss.

So wirft der Sechsteiler nicht nur die Frage nach dem Täter auf, sondern auch jene nach den Motiven aller Beteiligten. Was verbirgt sich hinter der (Fasnachts-)Maske? Was, wenn das wahre Monster nicht von aussen kommt, sondern mitten unter uns weilt?

Werbung

Wer sich auf eine gemächliche, vielschichtige Erzählweise einlassen mag, wird belohnt und darf ein Finale erwarten, das nicht auf billige Effekte setzt, sondern auf stille, existenzielle Beklemmung. Ein Abschluss, der mehr Fragen stellt, als er beantwortet. Aber genau deshalb noch lange nachhallt.

Alter Ego

3sat | Krimiserie | 1. Staffel

Mit Gianmarco Tognazzi, Matteo Martari, Anna Pieri Zuercher

CH 2023; Donnerstag, 7. August 2025, 22:25 Uhr, alle 6 Folgen am Stück

 

Der Trailer (italienisch)

Werbung

Über die Autoren
TELE

Mischa Christen

Mischa Christen

Auch interessant

Werbung