One – «Warum ich?»

Achterbahn mit Kafka

In der Anthologieserie «Warum ich?» treiben sechs Kurzgeschichten genau diese Frage ad absurdum.

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Jeff (Charly Hübner) gibt ein Wohnzimmer-Konzert,  doch seine Kundin hat ganz eigene Pläne.

Jeff (Charly Hübner) gibt ein Wohnzimmer-Konzert, doch seine Kundin (Andrea Sawatzki) hat ganz eigene Pläne.

ARD Degeto Film/Superfilm Filmpr

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Warum ich? Wer hat sich diese Frage nicht auch schon gestellt? Fluchend ins Lenkrad gebrüllt, zähneknirschend vor der Supermarktkasse in den Kragen gemurmelt oder sich im Bett herumwälzend in die düstere Nacht hinausgedacht? Manchmal reicht ein mühsamer Kunde, der weit vor einem in der Schlange seelenruhig sein Münz aus dem Portemonnaie klaubt, oder ein Stau auf der eben noch freien Autobahn, um das grosse Fragezeichen des Lebens aufpoppen zu lassen.

Dann sind es aber auch die schweren Brocken: Kündigung, Trennung oder die niederschmetternde Diagnose beim Arzt. Gleichzeitig ist jedem klar: Auf die Frage «Warum ich?» gibt’s keine Antwort. Keine klärende jedenfalls. Und vielleicht geht es auch gar nicht darum. Vielleicht ist die Frage auch einfach ein innerer Aufschrei, ein Ventil. Oder sie bedeutet sogar den Beginn von etwas Neuem. Einer positiven Veränderung.

Allzu Philosophisches sollte man von der Anthologieserie «Warum ich?» auf dem TV-Sender One aber nicht erwarten. Und es wird auch nicht immer auf Anhieb ersichtlich, wem diese kurze, aber schicksalhafte Frage durch den Kopf schiesst.

In der Eröffnungsepisode «Cowboys» stellt sich der einst sehr erfolgreiche und heute heruntergekommene und überschuldete Schlagersänger Jeff Kanter (Charly Hübner) diese Frage. Ihn erwartet bei einem Wohnzimmerkonzert, das er gibt, um seinen Schuldenberg abzubauen, eine bitterböse Überraschung. Gemeinsam mit Monika (Andrea Sawatzki) tänzelt er am Abgrund einer düsteren Kellertreppe.

In der zweiten Episode «Regensburg» gerät eine kaltschnäuzige Personalchefin (Nora Waldstätten) in ihr grösstes Albtraumszenario. Ein (von ihr?) gekündigter Angestellter wirft sich vor den Zug, in dem sie gerade sitzt. Auf dem Heimweg nach ebendieser ausgesprochenen Massenentlassung. Das Abteil wird zur emotionalen Zelle – bis ein vermeintlicher Retter (herrlich: «Tatortreiniger» Bjarne Mädel) kommt. Und doch stimmt etwas nicht mit ihm.

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In «Lebenskerze» offenbart Hans (Robert Palfrader) an seinem 60. Geburtstag seiner empathielosen Familie, dass er an Alzheimer erkrankt ist und in wenigen Tagen zur Sterbebegleitung in die Schweiz zu fahren gedenkt. Seine erwachsenen Kinder fragen sich aber nur: Warum ich? Und nicht etwa: Warum er? Der Familien-Esstisch wird zum emotionalen Schlachtfeld.

In der Episode «Freunde» muss sich Dominik (Thomas Schubert) fragen: «Warum werde ausgerechnet ich  entführt?» Es ist der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft mit höchstem Stockholm-Syndrom-Potenzial.

Die Episode «Mondfenster» nimmt ein durchtriebenes Verschwörungstheoretiker-Paar ins Visier. Dessen pubertierender Sohn fragt sich: Warum musste ausgerechnet ich in eine Prepper-Community hineingeboren werden, in der es verboten ist, über den Waldrand zu gehen, weil dort die Gravitation aufhört? Das Resultat ist ein jugendlicher Befreiungsakt in einem sehr speziellen Setting.

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Zum Abschluss geht es ins angesagteste Restaurant einer Stadt: Im «Casa Carmen» findet an jedem Tisch ein Drama statt. Warum bin ausgerechnet ich ein Kuckuckskind? Warum werde ich von meinem zehnjährigen Sohn erpresst? Warum hat sie nicht jemand anderen heiraten können? Bemerkenswert an dieser Folge ist der Auftritt von Schauspieler und Tetraplegiker Samuel Koch, der sich in seiner Rolle aber nicht fragt, warum ausgerechnet er im Rollstuhl sitzt. Inszeniert wurde

«Warum ich?» von David Schalko, der letztes Jahr für die Serie «Kafka» viel Lob einheimste. «Nach dem sehr aufwendigen Dreh von ‹Kafka› wollte ich unbedingt etwas Kleines machen, bei dem man sich ganz auf die Schauspieler konzentrieren kann», sagt der 52-Jährige. Er schwärmt vom Setting mit kleinem Team und schmalen Strukturen: «Schnell und unmittelbar – sechs Kurzfilme, die durch ein Thema verbunden sind.» Das ist Schalko fürwahr gelungen. Die sechs Folgen würden auch als Hörspiel funktionieren. Geradezu kammerspielartig treiben sich die Akteure durch die jeweils etwa 25 Minuten Spielzeit. Die Dialoge wirken zuweilen wie eine Achterbahnfahrt auf engstem Raum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und manchmal hört eine Folge auch einfach mitten im Geschehen auf, was den Zuschauenden konsterniert und manchmal auch etwas enttäuscht zurücklässt.

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Für den Regisseur und Autor zieht sich die Frage «Warum ich?» als egozentrisches Leitthema durch unsere Gesellschaft. «Steckt in dieser Frage nicht vieles von dem, was uns frustriert, was wir als Ungerechtigkeit empfinden, was letztendlich zu jener Empathielosigkeit führt, die für westliche Gesellschaften so typisch geworden ist?» Denn es passiere ja nur sehr selten, dass jemand fragt: «Warum wir?» Oder gar: «Warum nicht?»

So gesehen hat David Schalko von seinem vorherigen Werk ein paar Eigenschaften mitgenommen. Einige Folgen sind nämlich ganz schön kafkaesk ausgefallen.

Warum ich?

One | Anthologieserie | 1. Staffel

Mit Charly Hübner, Andrea Sawatzki, David Bennent, Bjarne Mädel

D 2025; Donnerstag, 26. Juni 2025, 21:45 Uhr, alle 6 Folgen am Stück

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Der Trailer

Über die Autoren
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Mischa Christen

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