Wie eine Kugel im Flipperkasten

Wie fühlt es sich an, im täglichen Hamsterrad zu strampeln? In diesem öden, monotonen Jobtrott, aus dem es kein Entrinnen gibt, so sehr man sich auch abmüht? Der BBC-Fünfteiler «The Responder» demonstriert das mit einer Intensität wie kaum eine andere Krimi- oder Thrillerserie.

Chris Carson ist ein ehemaliger Inspektor, der zum Emergency Response Officer in Liverpool herabgestuft wurde. Das macht ihn zu einer Art Streifenpolizist, der in den Nachtschichten als Erster gerufen wird, wenn irgendwo etwas passiert. Oder der einspringt, wo gerade Not am Mann ist.

Er hilft nach einem Unfall beim Sichern von Leichenteilen, schlichtet immergleiche Nachbarschaftskonflikte und ist Erstbegutachter bei verdächtigen Todesfällen. Doch Liverpool ist ein Moloch, aus dem nächtens alles mögliche Gesindel hervorkrabbelt und den Gesetzeshütern den Job vermiest. Und Chris Carson, das wird bereits zu Beginn der ersten Folge klar, macht das alles schon viel zu lange mit. Er wird beschimpft, beleidigt, bespuckt und manchmal sogar tätlich angegriffen.

Um damit und mit privaten Krisen klarzukommen, hält er sich längst nicht mehr ans Regelwerk, schlägt schon mal zu oder zurück. Nur so, glaubt er, lasse sich die polizeiliche Autorität durchboxen. Unglücklicherweise hat er seine Finger selber im kriminellen Spiel – ist korrupt und verdient sich bei Kokaindeals etwas nebenher. Doch eigentlich steckt in Chris noch immer ein Mann mit Herz, der unerschrocken zur Stelle ist, wenn eine junge Frau im Heroinsumpf zu ertrinken droht. Selbst wenn ihm dann als Dankeschön ein «Verpiss dich, du Bullensack!» vor den Bug geknallt wird.

Die Hoffnung, Chris finde wenigstens im Privatleben einen Ausgleich, wird jäh zerschlagen: Sein tyrannischer Vater ist tot, seine Mutter dämmert auf der Palliativstation dem Ende entgegen, seine Frau hat sich emotional von ihm abgewandt und umorientiert. Der einzige Silberstreifen am Horizont ist seine kleine Tochter.

Immerhin beweist Chris’ Gattin noch ein gewisses Mitgefühl und verknurrt ihn zu einer Psychotherapie, die tatsächlich anzuschlagen scheint. Die Therapeutin ist die Einzige, der sich Chris öffnet. Doch als sie ihn bei einer Sitzung mit einem anderen Patienten verwechselt, nimmt seine Abwärtsspirale erst recht Fahrt auf: «Ich sterbe hier vor Ihnen, und Sie kennen nicht mal meinen Namen?!» Chris verliert die Contenance, seinen letzten Anker und womöglich die Freiheit und sein Leben.

«The Responder» ist ein gesellschaftskritischer, atmosphärisch unglaublich düster umgesetzter Thriller, der einen ab der ersten Minute gefangen nimmt. Martin Freeman («The Hobbit», «Fargo») spielt den Gesetzeshüter, dessen Gemütszustand wie eine Kugel im Flipperkasten zwischen Wut, Angst und Verzweiflung hin und her rast, mit perfekt einstudierter Mimik: Eine kurze Verzerrung seiner Gesichtsmuskeln reicht – und wir wissen Bescheid.

Die Figurenzeichnung ist ungewöhnlich: Den einen grossen Bösewicht, den es am Schluss zu Fall zu bringen gilt, gibt es nicht. Alle haben sie ihre Schwächen, Zweifel und Nöte. Auch wer sich als noch so harter Hund gibt. Nun, Drehbuchautor Tony Schumacher war selber jahrelang als Polizist auf Englands Strassen tätig.

Der Schweizer Privatsender 6+ strahlt Staffel 1 der Serie in altmodischer Kadenz aus: eine Folge pro Woche. Die 2. Staffel ist auch schon im Kasten und wurde letzten Monat auf BBC 1 ausgestrahlt. Ein Termin bei uns ist aber noch nicht bekannt.