Eine sprudelnde Kreativität erquickt den Raum, als die drei Filmschaffenden denselben betreten: Die Regisseure Henk Handloegten («Liegen Lernen», «Das Fenster zum Sommer»), Achim von Borries («Was nützt die Liebe in Gedanken», «4 Tage im Mai») und Tom Tykwer («Lola rennt», «Das Parfum», «Cloud Atlas») haben alle vier bisherigen Staffeln «Babylon Berlin» erfunden, geschrieben und als Regisseure verantwortet.
Die 4. Staffel zieht dramaturgisch ziemlich an und verfolgt bis zu fünf oder sechs Handlungsstränge. Besteht da nicht die Gefahr, das Publikum zu überfordern?
Achim von Borries: Natürlich überfordert man das Publikum, je komplexer man eine Geschichte erzählt und je mehr Handlungsstränge man einflicht. Aber die Zuschauer von heute sind gut trainiert. Die wissen, dass sie nicht alles zu jeder Zeit verstehen müssen. Sie vertrauen uns, dass wir sie den Anschluss irgendwann wieder finden lassen.
Diese Staffel spielt in den Jahren 1930/1931. Adolf Hitler und der Nationalsozialismus erstarken. Wie geht man mit diesem heiklen Thema um?
Henk Handloegten: Es ist nicht einfach, Nazis in Uniform zu inszenieren, ohne die gängigen Klischees zu bedienen. Wir zeigen, dass es auch innerhalb der NSDAP durchaus Flügelkämpfe gab. Die hätten auch dazu führen können, dass sich die Nationalsozialisten gegenseitig zerfleischt und uns so vielleicht die Katastrophe erspart hätten.
Tom Tykwer: Man kann nun mal wenig Gutes über die Nazis sagen. Und als Figuren sind sie auch nicht wirklich interessant.
«Babylon Berlin» ist eine extrem aufwendige Produktion. Wie baut man ganze Berliner Stadtteile der 1930er-Jahre nach?
Tykwer: Wir errichteten ein riesiges Aussenstudio, das mehrere Strassenzüge umfasst. Dort steht nun unter anderem ein Boulevard, die Charlottenburger-Strasse und ein komplettes Arbeiterviertel. Aber natürlich arbeiten wir auch mit der Greenscreen-Technik. Wir benötigen etwa zwei reale Etagen eines Gebäudes. Der Rest, also wenn man etwa von einem Platz aus die halbe Stadt sieht, wird mit Greenscreens erzeugt.
Und wo holt ihr all die vielen Menschen her, die man auf den Strassen sieht? Die sehen ziemlich echt aus.
Tykwer: Ja, das sind sie auch. Wir haben es hier mit insgesamt knapp 6000 Komparsen zu tun, die wir ausstatten. Ob Fussgänger, Autolenker, Café-Besucher oder Kellner – alle wurden von Kopf bis Fuss der damaligen Mode entsprechend eingekleidet, bis zur Socke. Jeder Knopf und Saum von denen wurde vor dem Dreh dreifach gecheckt.
Das macht die Serie unter anderem so teuer. Deren Finanzierung ist nicht immer unumstritten. Auch seit die ARD mit im Boot ist. Wurde euch schon vorgeworfen, Gebührengelder zu verschleudern?
Handloegten: In der heutigen medialen und durch Social Media vernetzten Welt ist nichts mehr unumstritten.
Tykwer: Ausserdem zahlt die ARD etwa so viel wie für einen «Tatort». Sie können sich glücklich schätzen, was sie dafür bekommen.
Teilt ihr drei euch die Regiearbeit nach Folgen auf?
Handloegten: Nein, nach Drehort. Wir drehen mit drei Teams, von denen jedes jeweils für einen Drehort zuständig ist. Unser grosser Vorteil ist, dass wir die Drehbücher zusammen geschrieben haben und deshalb jeder von uns weiss, an welchem Punkt der Ereignisse die jeweilige Szene bzw. die Figuren darin stehen.
von Borries: Am Schluss treffen wir uns im Schnittraum, wo die Geschichte nach dem Skript und den Dreharbeiten zum dritten Mal erfunden wird. Hier wird nochmals alles in Frage gestellt – so lange, bis das endgültige Werk steht.
Seid ihr euch da immer einig, oder gibt's auch mal Streit?
von Borries: Natürlich streiten wir. Und das ist gut so. Wir drei sind sehr unterschiedlich mit unterschiedlichen Stilen und Arbeitsweisen, was dem Ganzen unheimlich zuträglich ist und «Babylon Berlin» so abwechslungsreich macht. Die Erweiterung der kreativen Kapazitäten ist zwar oftmals anstrengend, und manchmal sind wir auch ganz schön genervt voneinander. Aber der erzählerische Horizont wird so viel grösser. Und wir wissen, das Ergebnis wird immer besser durch Reibung.
Und wenn ihr euch mal nicht einig werdet?
Tykwer: Zum Glück sind wir zu dritt. Das erleichtert die demokratische Vorgehensweise. Aber es gibt auch ein Vetorecht. Fakt ist: Wir ringen, bis jeder jeden einzelnen Schnitt abgesegnet hat.
Ihr habt bislang vier Staffeln zusammen gedreht. Besteht da mit der Zeit nicht die Gefahr, dass sich die Routine einschleicht und man nachlässt?
von Borries: Doch, vor jeder neuen Staffel besteht diese Gefahr. Die grösste Sünde, die eine erfolgreiche Serie begehen kann, ist weiterzumachen, bloss weil sie erfolgreich ist. Selbst wenn man ihr anmerkt, dass ihre Produzenten erschöpft sind. Unser Anreiz ist, genau das Gegenteil zu tun. Da sind wir sehr, sehr streng und passen akribisch aufeinander auf.
Handloegten: Man muss dazu aber auch erwähnen, dass es uns dienlich ist, dass wir mit geschichtlichen Fakten arbeiten können, die uns immer wieder zu neuen Ideen inspirieren.
Sky Show gibt die Staffel wieder häppchenweise frei: zwei Folgen pro Woche. Ist es in eurem Sinne, dass sich die Zuschauer eure gesamte Arbeit nicht einfach in einer Nacht reinziehen können?
von Borries: Nicht unbedingt. Wir betrachten «Babylon Berlin» als einen langen Spielfilm. Wir haben es hier also mit einem vierzigstündigen Spielfilm zu tun, der in Kapiteln unterteilt ist. Was gibt es Besseres, als den in einem Stück durchzuschauen? Wer mitten in einer Serie unterbricht, dem kann bis zur nächsten Folge so viel dazwischen kommen, was ihn ablenkt. Das eigene Leben zum Beispiel. Immer wieder neu anzufangen, bedeutet auch, immer wieder mühsam anzuknüpfen.
«Babylon Berlin» spielt zur Zeit der Weimarer Republik, die 1918 beginnt und 1933 endet. Wie viele Staffeln plant ihr noch? Und ist nach 1933 Schluss?
Handloegten: Wie viele Staffeln es noch erfordert, bis wir das Jahr 1933 erreichen, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Bücher, die die Zeit danach behandeln, gibt es noch genug. Aber das wäre dann ja nicht mehr «Babylon Berlin», sondern «Nazi Berlin». Und das ist nicht die Geschichte, die wir erzählen.
Henk Handloegten, Tom Tykwer und Achim von Borries (v.l.) «erfinden die Geschichte dreimal»: beim Schreiben, beim Drehen und im Schnittraum.
imago/Metodi PopowDie 4. Staffel von «Babylon Berlin» adaptiert Volker Kutschers Roman «Goldstein» und beginnt in der Silvesternacht 1930/31: Während ein SA-Trupp unter Führung von Walther Stennes (Hanno Koffler) durch die Stadt marschiert und die Läden jüdischer Geschäftsleute zerstört, wird Kriminalassistentin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) zu einem Tatort gerufen: Ein junger Mann ist vom Dach eines Kaufhauses in den Tod gestürzt. Der exzentrische Alfred Nyssen (Lars Eidinger) indes gibt zusammen mit Helga Rath (Hannah Herzsprung) eine grosse Silvesterfeier, bei der er eine besondere Ankündigung macht.
Die Staffel umfasst zwölf Folgen und erscheint ab dem 8. Oktober wöchentlich in Doppelfolgen auf Sky Show.
Sky Show | Historien-Krimiserie | 4. Staffel
Mit Volker Bruch, Liv Lisa Fries, Lars Eidinger, Benno Fürmann, Hannah Herzsprung
D 2022, ab 8. Oktober 2022
Zum Interview mit der Schauspielerin Hannah Herzsprung (Helga Rath) geht's hier lang.