Fast vier Monate ging in Hollywood gar nichts mehr. Beim Streik der Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA gegen die Filmproduzenten-Vereinigung AMPTP stand für beide Seiten viel auf dem Spiel – teilweise sogar die Existenz. Nach der Ratifizierung des neuen Vertrags erklärten sich beide Organisationen zum Gewinner.
Die Produzenten konnten gerade noch rechtzeitig einen drohenden Blackout für neue Serien und Blockbuster-Filme verhindern. Und die SAG-AFTRA-Präsidentin Fran Drescher brüstete sich damit, einen «Milliarde-Dollar-Vertrag» für ihre Mitglieder herausgeschlagen zu haben.
Die Realität sieht etwas anders aus: Beide Seiten mussten beim Kompromiss schmerzhafte Tiefschläge einstecken, die Auswirkungen für die gesamte Filmbranche haben werden. Betrachtet man die nackten Zahlen, gibt es durchaus Sieger: Es sind dies all die Schauspieler/-innen, die nicht Clooney, Streep oder DiCaprio heissen und keine Millionengagen eingestrichen haben. Darunter fallen 85 Prozent aller SAG-AFTRA-Mitglieder. Denen verschafft der neue Vertrag zumindest wieder die Chance, trotz rapide gestiegenen Lebenskosten in Los Angeles überleben zu können.
So wurde nicht nur der jeweilige Mindestlohn für Schauspieler um 11 Prozent erhöht, in Zukunft müssen ihnen auch die Streamingdienste mehr zahlen. Netflix, Disney+ & Co. verpflichteten sich, Gelder in einen Gemeinschaftsfonds einzuzahlen. Daraus sollen in Zukunft Bonuszahlungen fliessen, wenn ein Film oder eine Serie von mehr als 20 Prozent der Abonnenten geschaut wird.
Fakt ist aber auch, dass SAG-AFTRA eine Tantiemen-Regelung wie bei TV-Sendern gefordert hatte (mit Offenlegung der Streaming-Zahlen), was die AMPTP-Verhandler erfolgreich verhinderten.
Auch beim wohl grössten Streitthema, der Nutzung von KI im Film, schien SAG-AFTRA die Oberhand gewonnen zu haben. Die Studios lenkten ein, dass Schauspieler zustimmen und extra vergütet werden müssen, wenn man «digitale Replikas» von ihnen in Kinofilm-Fortsetzungen oder Serienfolgen einsetzt.
Was gut klingt, ist weit weg vom totalen KI-Schutz, den die Schauspielgewerkschaft ursprünglich als «nicht verhandelbar» erklärt hatte. Konsequenz: Die Produzenten dürfen in Zukunft kostengünstige «synthetische Darsteller/-innen» einsetzen. Das sind mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz kreierte Statisten oder auch Filmfiguren, die keine erkennbaren Gesichtsmerkmale aufweisen.
Fast ein Viertel aller SAG-AFTRA-Mitglieder war darüber so enttäuscht, dass sie gegen die Ratifizierung des Vertrags stimmten. Etwa der Schauspieler Jeff Dobson, dem Böses schwant: «Selbst bei den digitalen Replikas sitzen die Produzenten am längeren Hebel. Wenn du Nein sagst, finden sie einfach jemand anderes, der zustimmt!»
«Beim Kompromiss mussten beide Seiten Tiefschläge einstecken»
Grund zum Feiern gibt es aber auch bei den acht Studios nicht. Insider schätzen, dass allein Warner Bros durch ausgefallene Produktionen bis zu 500 Mio. Dollar an Einkünften verloren hat. Hinzu kam, dass Warner-CEO David Zaslav oder Disneys Bob Iger durch herzlose Kommentare wie Bösewichte aus ihren eigenen Filmen klangen.
Den grössten Imageschaden richtete die anonyme Aussage eines Studiobosses auf der Hollywood-Webseite «Deadline» an. Er beschrieb die angebliche Gewinnstrategie der AMPTP so: «Unsere Absicht ist es, eine Einigung so lange hinauszuzögern, bis die Schauspieler ihre Apartments und Häuser verlieren.» Danach stellten sich die Medien und damit auch die öffentliche Meinung auf die Seite der demonstrierenden Schauspieler.
Hollywood hat jedenfalls bis auf weiteres seinen Nimbus als Filmproduktions-Metropole Nr. 1 eingebüsst. Das Renommee hatte bereits vor dem totalen Dreh-Stopp gelitten: Seit 2021 ist die Anzahl von Filmproduktionen in Los Angeles in sieben Quartalen nacheinander gefallen. Seit Beginn der Streiks der Drehbuchautoren im Mai 2023 sind laut dem US-Büro für Arbeitsstatistiken 45'000 Filmbranchen-Jobs verschwunden. Dass diese allesamt zurückkehren, glaubt niemand.
Umso weniger, als die Streaming-Anbieter Gefallen daran gefunden haben, Drehs aus Kostengründen in Europa durchzuführen – von Berlin-Babelsberg über das Baltikum bis zum Balkan. Ausgerechnet der neu ausgehandelte Vertrag mit den höheren Kosten für die Produzenten macht es noch unwahrscheinlicher, dass dieser Trend in naher Zukunft gestoppt werden kann.