Kino – «Sentimental Value»

Lebenskunst

Im Drama «Sentimental Value» sucht ein Regisseur die Versöhnung mit seinen Töchtern.

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Kino – «Sentimental Value»: Regisseur Gustav (Stellan Skarsgård) mit Hollywoodstar Rachel (Elle Fanning).
Regisseur Gustav (Stellan Skarsgård) mit Hollywoodstar Rachel (Elle Fanning). Frenetic Films

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Der Schatten von Ingmar Bergman liegt noch immer schwer über dem skandinavischen Kino. Der schwedische Meister der fröstelnden existenziellen Tiefe liess seine Figuren an einem schweigenden Gott verzweifeln, begleitete sie auf der Suche nach Sinn und sezierte messerscharf familiäre Beziehungen. Es sind Themen, die heute auch den Norweger Joachim Trier (51) umtreiben. Sein letzter Film «The Worst Person in the World» (2021) war eine innovative, freche Komödie – durchsetzt mit bitterernsten Momenten. Mit «Sentimental Value» legt er nun ein Familiendrama vor, das stark an Bergmans Werk erinnert.
Gustav (Stellan Skarsgård) ist ein alternder Regisseur, dessen beste Zeiten vorbei sind. Seine Werke laufen in Retrospektiven, doch seit fünfzehn Jahren hat er keinen Film mehr gedreht. Umso obsessiver treibt ihn sein nächstes Projekt um: ein autobiographischer Film über seine Mutter, die sich das Leben genommen hat. Für die Hauptrolle will er unbedingt seine Tochter Nora (Renate Reinsve) gewinnen, eine renommierte Theaterschauspielerin. Doch Gustav hat seine Familie einst für seine Karriere verlassen und seither kaum Kontakt zu seinen beiden Töchtern gehabt. Als er nun auftaucht, stösst das auf wenig Begeisterung.
Nora, die an Lampenfieber leidet, weist die Rolle wütend zurück, und auch ihre Schwester Agnes reagiert skeptisch. Sie spielte als Kind in einem Film ihres Vaters mit – und fühlte sich ausgenutzt. Die Situation wird noch komplizierter, als Gustav stattdessen den Hollywoodstar Rachel (Elle Fanning) engagiert.
Triers Film beginnt in seinem ehemaligen Zuhause in Oslo – jenem seelischen Ort, an dem sich all die Erinnerungen bündeln. Die Schwestern fühlen sich vom Vater verraten, der seine Filme stets über die Kinder stellte. Es geht um den emotionalen Ballast der Vergangenheit und die Frage, ob es eine zweite Chance geben kann.
Dazu stellt Trier die Frage, wie weit Kunst gehen darf, wenn sie das eigene Leben ausschlachtet. Wehmütig blickt er zurück auf eine Zeit, in der das Autorenkino ein breites Publikum fand. Joachim Trier, dessen Grossvater ebenfalls ein namhafter Regisseur war, vertraut ganz auf sein Ensemble – v. a. auf  Stellan Skarsgård, der mit einem einzigen Blick ganze innere Welten eröffnen kann. «Sentimental Value» ist ein vielschichtiges Drama, das grosse Gefühle zulässt, ohne je ins Sentimentale abzudriften.

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Sentimental Value

Drama
Stimmen: Stellan Skarsgård, Renate Reinsve, Inga Ibsdotter Lilleaas
NOR 2025, ab 11. Dezember 2025 im Kino

Der Trailer

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Über die Autoren
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Antonio Gattoni

Antonio Gattoni ist Filmredaktor bei Tele und bereits seit 1993 im Journalismus tätig. Er schreibt mit Leidenschaft über alles, was mit Film zu tun hat, Kritiken, Porträts, Interviews, Hintergrundberichte etc. Zu seinen Abschlüssen zählt ein Studium in Psychologie an der Universität in Zürich mit einer Lizentiatsarbeit über Traum und Film und eine journalistische Weiterbildung an der Volkshochschule. Vor dem Tele war er bei der Filmzeitschrift Zoom und bei der NZZ als Filmkritiker tätig.

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