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Kino – «Napoleon»

Feldherr, Kaiser und Freak

Ridley Scott porträtiert «Napoleon» als ordinären, launischen Einzelgänger. Sehr gewöhnungsbedürftig.

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Der Russland-Feldzug macht Napoleon  (Joaquin Phoenix) zu schaffen.

Der Russland-Feldzug macht Napoleon (Joaquin Phoenix) zu schaffen.

Sony Pictures
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Antonio Gattoni

Von allen Diktatoren ist er einer der wenigen, die auch Gutes getan haben. Napoleon Bonaparte (1769–1821) hat zwar tausende Soldaten in den Tod geschickt, er hat aber auch in vielen Ländern den Code civil eingeführt: ein modernes Zivilrecht, das gleiche Rechte für alle garantierte. Sonst steht der Name Napoleon vor allem für diktatorischen Grössenwahn: ein Machtmensch wie geschaffen für die grosse Leinwand.

Ridley Scotts Film wird dem nicht ganz gerecht. Er beginnt mit der Eroberung von Toulon, Napoleons (Joaquin Phoenix) erstem militärischen Erfolg. Der Korse legte eine steile Karriere hin, besuchte eine Kadettenschule, wurde Offizier mit 16, Brigadegeneral mit 24. Nach der Schreckensherrschaft der Jakobiner wird er 1799 dank seinem militärischen Talent Erster Konsul, um sich dann 1804 zum Kaiser zu krönen. Sein Plan, Europa neu zu ordnen, geht anfänglich auf, doch nach dem gescheiterten Russlandfeldzug folgt der Abstieg.

Scotts Filmbiographie, produziert von Apple TV+, ist ein Schnelldurchlauf durch Napoleons Leben, mit viel mehr Leichen als Leidenschaft. Einzelne Szenen sind grossartig, etwa die blutige Schlacht von Austerlitz auf einem tiefgefrorenen See. Es fehlt aber oft der historische Kontext, eine Erklärung der politischen Allianzen: wer gegen wen.

Joaquin Phoenix spielt Napoleon unheroisch als Freak: schwerfällig, launisch, ordinär. Ein Neurotiker, der mit Machtgebaren seine Unsicherheit kompensiert. Das mag psychologisch einleuchten, erklärt aber nicht, wie er es fertigbrachte, die Soldaten zu begeistern und sich an die Macht zu manövrieren. So war Napoleon einer der Ersten, der mit einer eigenen Zeitung seine Eroberungen in Italien begleiten und so seinen Ruhm verbreiten liess.

Legendär war auch seine Strategie, den Feind in der Schlacht zu isolieren und geballt zu bekämpfen. Doch Scott fokussiert mehr auf die animalische, besitzergreifende Liaison mit der Witwe Josephine (Vanessa Kirby), seiner grossen Liebe, die kinderlos blieb. Diese Beziehung wird zu wenig entwickelt, bleibt farblos, lenkt ab von interessanteren historischen Themen.

Ein Film über Napoleon hat schon viele Regisseure gereizt – und überfordert. Neben «Waterloo» (1970) mit Rod Steiger sticht Abel Gance’ fünfeinhalbstündiger «Napoleon»-Stummfilm (1927) heraus. Einige Projekte scheiterten an der schieren Grösse. So wollte Charlie Chaplin unbedingt einen Film über den Korsen drehen. Was er dann realisierte, war die Hitler-Satire «The Great Dictator» (1940).

Ein gigantisches Projekt wälzte auch Stanley Kubrick: Zwanzig Oxford-Studenten liess der Brite jeden Tag Napoleons Leben rekonstruieren und hatte 1968 bereits die rumänische Armee verpflichtet. Doch kein Studio war bereit, das immense Budget zu tragen. Kubricks Skript ist inzwischen bei Spielberg gelandet, der eine HBO-Miniserie plant. Vorerst ist aber ein anderer, unheroischer Napoleon angesagt.

Er prägte die Welt­geschichte: Napoleon Bonaparte.

Er prägte die Weltgeschichte: Napoleon Bonaparte.

Jacques-Louis David, 1812, National Gallery of Art, Washington DC
Napoleon

Biographie

Regie: Ridley Scott. Mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Rupert Everett

USA 2023, ab 23. November 2023 im Kino

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Von Antonio Gattoni am 21. November 2023 - 09:48 Uhr